14.05.2013 Arzúa

Der Weg ist wieder wunderschön, aber ich tu mir bei jedem Schritt eh. In mir tobt ein erbitterter Kampf: Ein Teil von mir will nun endlich ankommen, fertig sein mit Laufen, wieder zurück nach Hause, und ein Teil will hier bleiben, immer nur durch Wälder und Kuhdörfer gehen und nie wieder etwas mit dem Alltag zu tun haben. Zu diesem letzten Teil gehören leider auch meine Füße, die sich nur bewegen, weil die Beine darüber zum ersten Teil gehören und sich bewegen.

In Coto frühstücke ich und sehe auf einmal wieder ganz viele Langzeitpilger. Huch? Wo kommen die denn her? Waren die schon die ganze Zeit da und ich habe sie nur nicht gesehen, weil ich so damit beschäftigt war, abfällig über Tagesbeutelchen- und Wasserflaschenträger zu sinnieren? Jedenfalls beschließe ich, ab sofort freundlicher dreinzuschauen.

Ähm, was vielleicht jetzt nicht so wirklich zu meinem beschlossener Weise freundliches Wesen passt, ist, dass ich wieder meine Ohrstöpsel in die Ohren pfrupfel und Musik höre. Naja, wenn ich nur hören würde, wäre das ja soweit ganz in Ordnung, aber bei mir ist der Mund direkt mit den Ohren verbunden und tobt sich gnadenlos aus, weil die Ohren ja nicht mit ihm schimpfen, weil die ja Stöpsel tragen und ihn nicht hören. In Santiago wird mich ein Herr ansprechen und sagen: Ach, du bist die, die unterwegs Musik gehört hat. Das wird mir dann zwar ein bisschen peinlich sein, aber nun gut, so wird es dann halt sein.

Durch Melide laufe ich nur durch und frage mich, wie ich nach dem Weg die vielen Autos wieder ertragen soll. Schlussendlich lande ich wieder in den Eukalyptuswäldern. Das riecht so gut hier! Und Autos gibt es auch nicht. Hier bleibe ich!

 

Mir fängt es langsam an vor morgen zu gruseln. Ich bin allen davongelaufen, die mich in den letzten Wochen begleitet haben. Ich wollte das letzte Stück alleine sein. Ich war so blöd! Weil jetzt ist niemand da und ich bin alleine, so, das habe ich jetzt davon. So ein Schlamassel!

Und mit genau diesem Gefühl gehe ich in Boente in die Kirche. Muss ich noch etwas sagen, oder könnt ihr euch schon selbst denken, dass ich den Santiagoaltar, den ich so liebe, nur verschwommen sehe? Heideröslein! Und noch mehr Heideröslein für das, was dann kommt: Der Pfarrer, der heute dort ist und die Pilger bestempelt, drückt mich ganz feste an seine Brust und lässt meine Hand gar nicht mehr los. Mir ist das so unangenehm, nicht dass er meine Hand hält, sondern weil ich ja nix verstehe, was er mi sagt, und ihm nicht antworten kann. Das ist so blöd und so unhöflich! Um mich aus dieser Situation zu winden, nehme ich mein Credencial und verlasse mit „Adios y muchas gracias“ die Kirche und will mir gerade meinen Rucksack wieder aufsetzen, als Priesterlein mir hinterher kommt, sein Gebetbüchlein zückt und für mich und eine andere Deutsche, die ich nicht kenne, der ich aber gar keine andere Wahl lasse, als sich neben mich zu stellen, betet und uns segnet.

Die letzten Kilometer nach Arzúa sind wie gehabt anstrengend, trotzdem gehe ich, dort angekommen, an den ersten Herbergen vorbei und zur „richtigen“ Herberge. Auf einer Bank sitzend warte ich darauf, dass ein koreanisches Ehepaar und zwei Spanier vor mir aufgenommen worden sind. Während die Dame schon mit den Spaniern beschäftigt ist, kommt der koreanische Ehemann noch einmal zurück, weil er wohl nicht weiß, wo er hinsoll. Da geht ihm die Dame voraus. Er schnappt sich einen Rucksack und folgt ihr. Ich gucke ihm hinterher. Huch, der hat den gleichen Rucksack wie ich? Aber Kinders, das kann nun gar nicht sein, denn meine schwarze Kiepe ist ja fast größer als er und unter seinem Gewicht geht das kleine Männlein ganz fürchterlich in die Knie. Trotzdem schleppt er ihn wacker davon … solange zumindest, bis ich begriffen habe, dass er nicht nur den gleichen Rucksack hat, wie ich, sondern auch die gleichen Anhänger dran und dass das ja wohl nun gar nicht sein kann, zumal der Platz, wo mein Rucksack stand, inzwischen leer ist. Ich wetze ihm hinterher und brülle: „Stop, wait, das ist mein Mochilla!“ Jaaaa, in gewissen Situationen kann ich sehr international werden!

Im Schlafraum stehen rundherum Einzelbetten und in der Mitte zwei Stockbetten. Der Spanier, der neben mir schläft, sieht gar nicht gut aus. Er humpelt am Stock und kann ein Bein gar nicht mehr bewegen. Später erfahre ich, dass es ihm so schon seit vor Pamplona geht, aber das weiss ich hier noch nicht. Er versucht sich mit Wanderstiefel zu dehnen. Hm. Ob das was bringt? Und wie er ein solches Klumpbein noch überhaupt dehnen will, ist mir auch ein bisschen ein Rätsel.

 

Nachdem ich geduscht und ein bisschen durch die Stadt geschlendert bin, setze ich mich in den verglasten Balkon, weil im Raum ist die Luft so dick und so stikig, die könnte man in Scheibchen schneiden und einen Großhandel damit eröffnen. Also mache ich das Fenster auf. Da solltet ihr mal sehen, wie schnell man mit einem Klumpbein auf einem Fuß hüpfen kann! Er hätte frio und – peng – ist die Türe hinter mir zugeknallt. Heideröslein! Ich glaube, ich schlafe heute hier auf dem Stuhl, weil freiwillig gehe ich in den Mief nicht wieder zurück!

 

Unter mir sehe ich die Dame, die gestern so lauthals prahlte, ab sofort nur noch Bus zu fahren. Sie war wohl schon lange vor mir hier und hat sogar Wäsche gewaschen! Aber soll ich euch mal etwas sagen? Ich habe in meinem Leben noch nie so viel Taxiwerbung gesehen, wie auf den letzten Kilometern. An jedem Baum und an jedem Haus hängt ein Schild mit entsprechender Telefonnummer.

 

Und ein Deutscher, den ich morgens in Hospital de Orbigo zusammengefaltet habe schenkt mir auch seine finsteren Blicke. Der war dort so unhöflich und unverschämt zu einer ganz lieben Japanerin und einem Spanier, dass mich der wilde Watz biss und ich derart mit ihm schimpfte, dass es in der ganzen Herberge plötzlich ganz still wurde: Camino hat etwas mit Respekt zu tun und wenn Sie nicht wissen, was das ist, schreibe ich es Ihnen gerne auf, damit Sie im Internet danach googeln können. Sie sollten lieber drei Wochen Ballermann auf Mallorca buchen und nicht die Menschen hier mit Ihrer Unverschämtheit belästigen. Heiliges Jakobchen, da war ich guuuut drauf. Aber er ist auch ein Schnösel von besonderer Güte! Tut mir leid!

 

Erkenntnis des Tages: In spanischen Bussen muss man wohl ziemlich ins Schwitzen kommen!