Oh, wie schön, ihr seid neugierig geworden. Da freu ich mich aber!

Natürlich sollt ihr ein kleines Leckerchen haben, damit ihr wisst, was euch entgeht, wenn ihr das Buch nicht lest (räusper)!


Essen und Trinken hält, wie man sagt, Leib und Seele zusammen. Also kredenze ich euch hier ein kleines Menü in drei Gängen. Zieht euch ein Lätzchen an und schmatzt ruhig ein bisschen:





Natürlich gibt es vorweg einen Aperitif:

 

Hallo, ich bin Andrea, ich war auf dem Jakobsweg,

ich bin Alko­holiker.

 

Hihihi, jetzt sehe ich schon die een dicken Fragezeichen über euren Köpfen frohgemut im Kreise tanzen!

Also: Ich heiße wirklich Andrea und erblickte die Schönheit dieser Welt zum ersten Mal an einem trübtrubsigen Tag im Novem­ber 1963. Ich krabbelte eine Weile so vor mich hin, verbrachte sehr viel Zeit in den Ecken irgendwelcher Klassenzimmer und erhielt irgendwann mein Zeugnis der Mittleren Reife. Wie ich das gemacht habe? Ganz einfach: Ich hab‘ die Lehrer derart genervt, dass die mir alles gegeben hätten, wenn ich nur endlich die Schule verlasse!

Danach probierte ich meine pädagogischen Fähigkeiten zunächst zwei Jahre an Kindern aus, dann ein paar Jahre als Sekretärin an meinen Chefs, dann an meinem lieben Mann und Göttergatten Thomas und schließlich an meinen Leben Felix, Dennis und Marius.

Weil der Mensch ja etwas erleben muss, zogen wir vom hessi­schen Seligenstadt nach Waghäusel in Baden-Württemberg und beschlossen sofort, dass das für uns genug Abenteuer war.

Halt, nein, das stimmt nicht ganz: Ein Abenteuer haben wir uns noch gegönnt. Hätten wir das nicht getan, hättet ihr jetzt nicht dieses Buch in euren Händen und die Fragezeichen über euren Häuptern würden sich fragen, wie sie denn da hingekommen sind.

Nur noch eins kurz vorweg: Ich habe einen sehr langsamen Kopf, ein sehr schnelles Mundwerk, eine rabenschwarze Seele – aber ansonsten bin ich wirklich ein ausgesprochen friedlicher Mensch … wenn mich nicht gerade jemand ärgert. 

 

Hier möchte ich aber noch etwas sagen: Das mit dem Alkoholiker ist auf KEINEN FALL höhnisch oder sonst irgendwie böse gegen die gemeint, die wirklich ein Problem haben. Ganz bestimmt nicht. Es entspringt einer sehr weinigen Situation, die einfach nur wunderschön war. Als ich es schrieb, war mir einfach nicht bewusst, dass dieser Spruch verletzend sein könnte.

 

Falls ich jemandem zu nahe trete, tut mir das ganz ehrlich leid!

 

 


Als Amuse Gueule gibt es die Widmung. Findet ihr Widmungen auch so schön? Weil ihr mutig genug zum Schnuppern seid, dürft ihr euch auch gewidmet fühlen!

 

Ich widme dieses Buch all denen, die sich darin wiederfinden, und allen, die den Mut haben, es zu lesen.

Ich möchte euch gerne mitnehmen auf meine Wan­derung über den Camino francés, den spanischen Jakobsweg. Ich möchte euch an meinen Eindrücken teilhaben lassen, an seiner Schönheit, seiner Magie. Ich möchte euch von den wunderbaren Menschen erzählen, die ich unterwegs traf, möchte euch ein bisschen von seinem Zauber weitergeben.

Aber bitte denkt daran: Der Weg ist lang und mein Rucksack schwer. Also macht euch leicht. Und haltet euch gut fest, es wird manchmal hoppelig werden.

Vielleicht erschreckt ihr ab und zu über das, was ich euch so um die Ohren schreibe. Dann seid nicht zu sehr schockiert. Ich bin ziemlich verquer, aber sonst eigentlich ganz friedlich.

Wer weiß: Vielleicht gehört ihr ja am Ende nicht nur zu den gewidmeten mutigen Lesern, sondern auch zu den Sichwiederfindern.

 

¡Buen Camino!

 


Als Hauptspeise serviere ich einen total leckeren Kuchen mit Fleisch- und Gemüsefüllung! Mir läuft noch immer das Wasser im Mund zusammen - trotz Ekelherpes!

 

Mittwoch, 08.06.2011

 

 

El Acebo - Cacabelos (32 km)

 

 


Eine ganze Nacht nur wir beide alleine zusammen in einem Zimmer, in richtigen Bet­ten, mit einer richtigen Bettde­cke (ein Bettlaken, eine Wolldecke und darüber eine Tagesde­cke), ohne Geschnarche (außer dem, mit dessen Genuss meine Ohren sowieso allnächtlich beschäftigt sind), keinen Oben­drüberschläfer, kein Bettgewanke wie auf hoher See, keiner, der nachts dringend aufs Klo muss - eigentlich hätten wir schlafen können wie die Murmeltiere im Winter. Tun wir auch - bis um 6.30 Uhr. Eine Stunde spä­ter durchqueren wir nun auch den unteren Teil des Dorfes. Am Ende steht ein Denkmal für einen deutschen, verunglückten Radfah­rer … habe ich gelesen. Leider achte ich nicht darauf. Trotzdem finde ich es nett, dass die Menschen hier nach seinem Tod nicht einfach zur Tagesordnung übergegan­gen sind, sondern ihm dieses Plätzchen gewidmet haben.

Der Weg führt zunächst an der Straße ent­lang, biegt aber schon bald in einen Pfad ab, der manchmal so eng ist, dass wir uns durch riesige, dichte Ginsterbüsche zwängen müs­sen. Wir marschieren wieder über Steine und Geröll. Mir wird noch mal ganz übel, wenn ich daran denke, was ich gestern riskiert habe. Und schon ist es vorbei mit rennen und hüp­fen. Hier kann ich meinen Kopf nicht ausknip­sen. Ich laufe völlig verkrampft, pass‘ auf jeden Schritt auf, fühle mich von jedem Steinchen bedroht und rutsche natürlich dauernd aus. Trotz Wanderschuhen habe ich jeden Grund, dem, der die Bänder in meinen Knöcheln geschaffen hat, noch einmal von Herzen einen dicken Knuddler für diese gute Arbeit zu schi­cken.

Dafür habe ich heute aber mehr Muse, mich in dieser wunderschönen Landschaft umzu­gucken. Es ist noch fast duster, als wir am Morgen unser Zimmer verlassen. Aber nach und nach kommt die Sonne über die Erde gekrabbelt. Man kann richtig beobachten, wie ihre Strahlen sich langsam, ganz langsam breit machen. Erst sind es die höheren Berge im Hintergrund, die sich wie Stars im Scheinwerferlicht in die Brust werfen und ihre Gipfelköpfe in den blauen Himmel rec­ken. Über die Hügellandschaft davor wandern hier und da kleine helle Flecken. Es ist so, als wollten sie ganz sacht die Welt wecken: Mäuselein, komm aus deinen Träumen, der Tag beginnt! - Aber Mäuselein will noch nicht. Die Flecken wer­den größer: Maus, Zeit zum Aufstehen! - Maus schüttelt ent­schieden den Kopf. Die Sonne zieht der Maus immer mehr ihre dustere Bettdecke weg: Steh endlich auf, du Ratte! - Ratte könnte sich jetzt die Decke wieder hoch zie­hen, aber dazu müsste sie sich ja bewegen. Das fällt aus. Am Ende schüttet die Sonne ihre Strahlen über die Welt wie manch einer einen Eimer kaltes Wasser über den Schlä­fer. Es ist wie ein großer Paukenschlag, der auch den Schnarcher in der letzten Reihe des Konzertsaales aufspringen lässt: Peng! Die Erde steht aufrecht wie eine Eins und strahlt vor sich hin. Alle ach so müden Lebensgeister rennen herum, sich hier und da gegen­seitig über den Haufen wie eine aufge­schreckte Hühnerherde (wie sagt man das eigentlich richtig bei Hühnern? Diese Hühner müssen nicht im Käfig ihr Dasein fristen, sondern sie sind glückliche, freilaufende Federtiere, die gerne ihre Eier auch mal in den Wäschekorb legen dürfen. Aber wie nennt man die, wenn man ganz viele von ihnen meint? Gibt es dafür überhaupt ein Wort? Egal: Für mich ist es jetzt eben eine Hühnerherde. So.).

Die Welt so aufwachen zu sehen ist einfach klasse! Oder gewählter ausgedrückt: Ein sehr erhebendes Gefühl!

Jetzt kann ich aber erst weiterschreiben, wenn ich den Knoten aus meiner Zunge und meinem Kopf gemacht habe. Moment, nur noch hier ziehen und das da durchstec­ken – geschafft! Weiter geht's.

Bis Molinaseca brauchen wir etwa zweieinhalb Stun­den. Thomas ist von dem steilen und rutschi­gen den Berg hinunter ziemlich fertig. Solche Wege kosten ihn immer viel Kraft. Dabei fühlt er sich auch noch immer wie ein Klotz am Bein und hat obendrein ein schlechtes Gewissen, weil ich ohne ihn ja sooo viel schneller gehen könnte. Von solch dusseligen Sprüchen krieg‘ ich Pickel!

So, und jetzt kann ich erst weiterschreiben, wenn ich mei­nem lieben Mann und Göttergat­ten den Hals wieder zurück­gedreht habe. Moment, noch ein Stück, oh, das war zu weit, wieder ein Stückchen in die andere Richtung. Ja, so geht es. Besser sah er vorher auch nicht aus. Weiter geht's.

Wir überqueren eine riesige Stein­brücke, dann fallen wir in eine Bar ein, vor der schon andere Pilger sitzen. Früh­stück!

Eigentlich ist es nicht üblich, dass der Wirt aus seiner Kneipe kommt, um seinen Gästen Essen und Trinken zu bringen, sondern man muss hineingehen und es sich selbst holen. Hier ist das anders. Ein junger, etwas pum­meliger Señor kommt und fragt uns, was wir haben möchten. Weil wir das aber gar nicht so genau wissen, begleiten wir ihn hinein und finden nicht nur einen superlecker aussehen­den Kuchen mit Fleisch- und Gemüsefüllung, den seine Mama extra ganz frisch und nur für uns Pilger gebacken hat, son­dern auch alles andere, was unsere hungrigen Bäu­che zum Frohlocken bringt: Schokolade, Cola in Dosen und Flaschen, Obst, Kekse und jede Menge Krims­krams.

Wir entscheiden uns für einen Bocadillo, das Gebacke seiner Mutter und gaaanz viel Kaffe, gehen wieder nach draußen und lassen uns - ach wie schön! - bedienen.

Ihr Lieben: Solltet ihr in Molinaseca von einem jungen, pummeligen Señor gesagt bekommen, dass ein Kuchen mit Fleisch- und Gemüsefüllung ganz frisch von seiner Mama gemacht worden ist, dann schlagt rein. Er sieht nicht nur superlecker aus, sondern er schmeckt auch so. Und der Wirt ist so ein Herzchen! Er kommt immer wieder ange­wetzt, um zu fragen, ob alles in Ordnung ist, ob uns das Essen schmeckt und ob wir noch etwas möchten. Den pack' ich mir mitsamt seiner Mama ein und nehme ihn mit nach Hause!

Ich mag hier nicht gerade an den ekeligen Typen von gestern in Manjarín denken, aber ich werde in den nächsten Tagen immer wieder an ihn erinnert werden, denn vor lauter Grusel ist mir über Nacht ein prächtiger Lippenherpes gewachsen. Ich habe es schon vor Ort kommen sehen, dass da was kommt. Heute Nacht habe ich es dann auch gefühlt. Inzwischen sehe ich aus, als hätte ich mir in volltrunkenem Zustand eine brennende Ziga­rette verkehrt herum versucht in den Mund zu stecken. Könnte man einen Ekelherpes genauso schnell kurieren, wie man ihn bekommt, wäre dieser Ort genau die richtige Medizin dafür.

‘Tschuldigung. Herpes ist jetzt nicht wirklich ein schönes Thema für einen so schönen Ort, aber meine Gedanken sind eben auch manch­mal wie eine aufgescheuchte Hühnerschar. Oh, das ist das Wort! Hühnerschar! Gut, dass es mir jetzt einfällt ... wo es zu spät ist.

Als wir aus Molinaseca hinauslaufen, traue ich meinen Augen nicht. Auf der linken Seite, direkt an der Straße, steht ein Gebäude mit einem riesigen Dach, unter dem rechts tat­sächlich die Etagenbetten im Freien stehen. Das habe ich so oft auf Bildern gesehen, dachte aber immer, dass diese Her­berge, wenn es sie denn wirklich geben sollte, irgendwo ganz weit weg von jeder Zivilisation sein muss. Falsch gedacht. Die Betten stehen tat­sächlich direkt an einer Hauptstraße und völlig ungeschützt. Da kann man nur hof­fen, dass, wenn man nachts etwas Feuchtes im Gesicht spürt, es sich nur um die schlabbrige Zunge eines freundlichen Hundes handelt, der nicht gerade, halb verhungert aus Fonce­badón vertrieben, auf der Suche nach einem kleinen Mitter­nachtssnack ist. In allen Her­bergen sieht man als gewieftes Pilgerchen zu, dass man eines der unteren Betten kriegt, weil es bequemer ist, sich dort einfach hineinplumpsen zu lassen, als vorher waghal­sige Kletteraktionen über wackelige Stühle oder noch wackeligere Leiterchen vollbringen zu müssen. Hier kloppen sich bestimmt alle wie Kinder im Landschul­heim darum, wer oben schlafen darf!

 


Hier schneide ich den Text ab, denn ihr sollt ja auch noch einen Nachtisch bekommen.

Erinnert ihr euch an das Kapitäns-Dinner beim Traumschiff? Ich packe euch also ganz viele Sternenregen und Sprühglühs auf eine meiner Lieblingsstellen.

 

(Samstag, 30.05.2009 Santo Domingo de la Calzada)

 

Vor der Kathedrale vertrauen wir auf Gott und die Auf­richtigkeit der Menschen und lassen unsere Rucksäcke vor der Tür stehen, aller­dings, sicher ist sicher, nicht ohne uns vorher umzugucken und zwei Herren in Uniform aus­zu­machen, die uns beobachten.

Hihihi! Ich möchte nicht wissen, was die sich bei unserem Anblick so denken! Wir sind aber auch wirklich sehenswert mit unseren Kiepen, die fast größer und schwerer sind als ihre Träger, in Wanderschuhen (Thomas in seinen Jogging­schuhen – er läuft viel leichter, seit er die hat) und unseren durch die tägliche Handwäsche schon ein bisschen mitge­nommen wirkenden Klamotten. Zwischen all den Damen und Herren in Stöckelschüh­chen, Kleidchen und Anzügchen sehen wir sehr verw(egen aus!

Jedenfalls sind wir uns sicher: Diese Ruck­säcke nimmt außer uns niemand. Und wenn doch, werden die unifor­mierten Herren sich bestimmt drum kümmern - vorausge­setzt die Diebe werden nicht vorher von einem Blitz oder dem Gestank unserer darin befindlichen Socken getroffen und fallen mausetot um.

Mit diesem Gottvertrauen besichtigen wir also die Kathedrale (sie ist nicht abgeschlossen, also nix wie rein!). Für Pilger ist sie ein besonderer Ort, denn in ihrem Innern gibt es einen Käfig mit einem Hahn und einer Henne.

Was das Federvieh in einer Kirche zu suchen hat, wollt ihr wissen? Oh, da machen wir doch schnell einen kleinen Aus­flug ins Land der Sagen und Legenden: Vor Unzeiten ist eine Pilgerfamilie aus Xanten auf ihrem Weg nach Santiago in Santo Domingo de la Calzada angekommen und hat in einem Wirtshaus übernachtet. Der Sohn der Familie war ein knacki­ges Bürschlein und machte die Tochter des Wirts ganz wuschelig. Aber Hallo! Man war schließlich auf einer Pilger­fahrt, da ist man keusch und poussiert nicht! Die Abgewie­sene hatte dafür allerdings kein Verständnis, spielte Zicken­krieg und steckte dem Jüngling kurzerhand einen silbernen Becher ins Beutelchen. Papa Wirt fand das freilich gar nicht lustig: Immer diese deutschen Pilger, denen darf man nicht weiter trauen, als dass man das Weiße in ihren Augen sehen kann! Er schickte dem Bürschlein den Büttel hinterher, das Objekt töchterlicher Begierde wurde geschnappt, kriegte einen Ruckzuck-Prozess und endete – schwups - als Zierde an einem netten, heimeligen Galgen. So, das hatte er nun von seiner Keuschheit! Die Eltern setzten ihre Pilgerfahrt fort, holten sich in Santiago ihre Tickets ins ewige Himmelreich und machten sich auf den Weg zurück nach Hause. Als sie wieder nach Santo Domingo de la Calzada kamen, sahen sie, dass ihr Spross zwar noch am Galgen baumelte, aber ansonsten mopsfidel war, weil (hier scheiden sich die Gemü­ter) entweder Santo Domingo (der Schutzpatron der Stadt) oder Santiago (der Heilige Jakob) ihn fest‑ und vom Sterben abhielt. Schnell flitzten sie zum Richter, der sich gerade zum Essen vor einen Teller gebratener Hühner niedergelassen und ein Lätzchen umgebunden hatte, und baten ihn um Gnade. Doch wer will es ihm verdenken, dass er ihnen nicht glaubte. Hallo! Von hier nach Santiago sind es noch 575 km - könnt ihr euch denken, wie lange der Kerl da gebaumelt haben soll? Nein, nein, der sei tot, mausetot, so tot, wie die Hühner auf seinem Teller! Und siehe da: Das hörten die Hühner, die sowieso keine Lust hatten, als Gaumenschmaus ihr Leben zu beenden, erhoben sich und wackelten – naja ein bisschen ungelenk und kopflos - davon. Söhnchen wurde abgehängt, Töchterchen dafür aufgeknüpft (diese Krawallschachtel wollte kein Heiliger halten), Xanten bekam seine Pilgerfamilie vollständig zurück und die Kathedrale einen Hühnerkäfig

Es heißt, wenn der Hahn kräht, während man sich in der Kathedrale befindet, steht die Pilgerreise unter einem guten Stern. Wir schlendern bewusst langsam einmal rund herum und warten, aber dieses blöde Vieh gibt keinen Ton von sich. Später erzählt uns jemand, dass der Hahn während der Messe tatsächlich gekräht hätte. Ein Schelm, der da auf die Idee kommt, dass das Krähen stets gerade recht in der Zeit (nämlich während des Gottesdienstes) geschieht! Wir jeden­falls verbringen endlos viel Zeit in der Kirche, doch bei uns kräht nix. Unfair ist das! Ich finde, man könnte den Gockel vom Band ruhig öfters anstellen als nur … - oh, ich Schelm!

 


Oh, es ist euch noch nicht krusselig genug im Bauch? Na, das können wir ganz schnell ändern! Hoffentlich habt ihr genug Taschentücher zur Hand!

(Mittwoch, 15.06.2011 Monte do Gozo)

 

Es sind nur noch wenige Meter bis zu der Stelle, an der man zum ersten Mal Santiago sehen kann, aber wenn man so fertig ist, zieht sich jeder einzelne Zen­timeter wie der Gang nach Canossa.

Wir bleiben stehen und schauen auf die Stadt hinunter. Seit Jahren drehten sich viele unserer Gedanken darum, sie zu erreichen. Jetzt sehen wir sie wie ein Tüpfelchen Wasser­farbe im Schönwetternebel des Tals. Bei klarem Wetter soll man sogar die Kathedrale erkennen können. Ich versuche nicht, sie zwischen den Dächern auszumachen. Ich schaffe es nur kurz, zu gucken, dann ... sehe ich nichts mehr.

Im 17. Jahrhundert gab es einen Pilger, Domenico Laffi, der den Camino dreimal gegangen ist. Was er über diesen Moment schrieb, gibt genau das Gefühl wieder, das mir hier gerade den Hals zuschnürt. Darum leihe ich mir einfach seine Worte aus:

Als wir die Höhe eines Bergzuges mit Namen 'Berg der Freude' erreichten und das so herbei geflehte Santiago offen vor uns liegen sahen, fielen wir auf die Knie, und die Freu­dentränen schossen uns aus den Augen. Wir begannen das 'Te Deum' zu singen, aber kaum brachten wir zwei oder drei Verse hervor, denn allzusehr unterbra­chen Tränen und Seufzer unseren Gesang und ließen das Herz erzittern.

Ich versuche gar nicht erst ein Te Deum zu singen (was ist das überhaupt?). Ich komme auch nicht annähernd auf die Idee, irgendetwas zu machen. Dieser Moment ist so groß, so ...

Ich sitze hier (zu Hause) seit Stunden und versuche, dieses Gefühl in Worte zu fassen. Es geht nicht. Unmöglich. Aber wer von euch Vater oder Mutter ist, möge sich bitte kurz an den Moment erinnern, als ihr euer Kind zum ersten Mal gesehen habt. Spürt ihr es? Ja? Nein, nichts ist so groß, wie sein Leben zum ersten Mal im Arm zu halten, aber es kommt dem Gefühl hier glaube ich am näch­sten.

Ich stehe da und heule Rotz und Wasser zusammen; den Rotz, weil ich am Ende bin, und das Wasser, weil der Camino am Ende ist. Na bravo!

Die Anlage, in der sich die Herberge befin­det, ist riesig. Die Unterkünfte für Pilger befinden sich gleich links in der ersten von unzähligen, schier endlos langen Barackenzeilen, die sich in Ter­rassen den Berg hinunterziehen. Irgendwo mittendrin gibt es einen großen Platz mit Selbstbedie­nungs­kantine und Bar, die uns an diesem Abend noch sehr reichlich kennenlernen wird.

Vor der Rezeption helfen mir unsichtbare Hände aus mei­nem Rucksack und auf die Bank. Ich bin komplett hilflos. Ich kann gar nix mehr machen. Mein Knochengerüst besteht bloß noch aus schlabberigem Wabbelpudding, der nur nicht aus­einanderläuft, weil die Haut drumherum ihn daran hindert. Meine Beine könnten freihändig von mir abfallen, wären sie nicht so saublöd an dieser dämlichen Hüfte angewachsen, in der es derart pocht, dass ich schreien könnte. Mein Rücken ist so müde, dass er es nicht mehr schafft, meinen heulenden Kopf oben zu halten. Also lasse ich ihn einfach nach vorne fallen und tropfe mir selbst den Schoß nass. Nein, ich wische die Tränen nicht weg. Ich putz mir auch nicht die Nase. Wie sollte ich? Ich müsste dafür die Hände bewegen!

Ich könnte platzen vor stolz über mich selbst. Ich bin heute 36 km gelaufen! Ich bin der Hammer! Nein, ich mache keine vierzich Gilomeder am Daach, aber so viel fehlt da auch nicht mehr! 36 km! Ich pumme­liger Wicht!

Gleichzeitig kann ich aber gar nicht platzen, weil sich alles in mir zusammenzieht. Ich bin da. Bis Santiago sind es noch 5 km, dann ist unsere Pilgerreise zu Ende. Ich bin da. Wir sind da. Wir haben es geschafft. Wir sind den Jakobsweg gelaufen und jetzt sind wir da.

Da sind ganz viele Hände, die mir von allen Seiten kurz auf die Schultern oder Arme gelegt werden. Ich sehe kein Gesicht dazu, aber ich weiß, dass jede dieser Hände genau weiß, wie ich mich gerade fühle.

Mein Kopf geht erst wieder hoch, als ich Rolands Stimme höre: „Ihr habt das nicht wirklich gemacht.“ Nein, er ruft es nicht aus, er sagt es ganz leise: „Ihr habt das nicht wirklich gemacht“ - Doch, mein Schatz, wir haben und du bist nicht ganz unschuldig daran!

Uff, Moment, ich brauche eine kleine Heul­pause. Ich sehe ja kaum noch die Buchstaben vor meinen Augen.

So, jetzt geht es wieder.

Egal wie müde wir beim Ankommen sind, kaum haben wir Roland, Walli, Silke und Günther gesehen, geht es uns wieder wesentlich besser. Nach einer Dusche und einer hal­ben Stunde Ruhe auf der Matratze, fühlen wir uns frisch und munter genug, mit ihnen und ganz vielen anderen gemein­sam zu feiern, dass wir hier sind: Wir haben es geschafft!

Bis nach 22.00 Uhr sitzen wir in einer großen Runde und erzählen alle wild und fröhlich durcheinander. Wir sind zwar aus­gelassen, glücklich, so stolz, aber gleichzeitig krusselt es uns in den Bäuchen. So sehr wir uns auf unser Ankommen morgen freuen, so sehr wissen wir, dass damit ein ganz wun­derbares und großartiges Stückchen unseres Lebens abge­schlossen sein wird. Das kann man nicht wiederholen. Das war einmalig und einzigar­tig.

Dann ziehen wir uns in unsere Betten zurück. Wir wollen zeitig aufstehen: Santiago wartet auf uns!


Oh, ihr wollt noch ein Absackerchen? Na gut, das sollt ihr haben:

 

(Uff, das war's)

 

Wem ich aber noch ganz bestimmt ganz viel und ganz lieb danken möchte, seid ihr. Ihr seid den Weg noch einmal mit mir gegangen und habt mich durch meine Erinnerungen begleitet. Ihr habt auf meinem Buckel gehockt und euch ganz leicht gemacht (naja gut, ihr habt es zumindest versucht) (räus­per). Ihr habt alle meine Gefühle mit mir geteilt, meine Mordfantasien ertragen, habt euch mit mir für eine Piesel­pause in die Büsche geschlagen, habt mit mir gelacht und - vielleicht - auch einmal ein bisschen geschluckt. Vielleicht war eine Hand ja auch von euch, die sich da auf dem Monte do Gozo auf meine Schulter gelegt hat. Und habe ich euch nicht in Santiago auch singen hören?

Dass ihr mein Buch gelesen habt, ist eines der schönsten Geschenke, das mir dieses Leben gemacht hat. Dieses Buch gibt es nur, weil es euch gibt, die es lesen. Ohne euch wäre es nur ein Bündel beschriebener Blät­ter.

Ganz vielen und ganz lieben Dank euch! Ihr seid einfach wunderbar!

 


Ich hoffe, das hat euch geschmecket, und wenn ihr gerade alleine seid (aber nur dann!), dürft ihr auch gerne herzhaft rülpsen.

 

 

Vielen Dank für's Probieren!

 

Wenn euch das Menü mundete, dürft ihr gerne mehr davon haben. Klickt einfach auf 

 

Kommt eine E-Mail geflogen! - Bestellungen und Nachrichten 

 

und habt ganz dolle viel Spaß beim Lesen!