10.05.2013 La Faba

Ich bin so unruhig. Dabei habe ich heute Nacht richtig gut geschlafen. Na klar, ich hatte 1 Frau und 6 Maenner um mich! Da muss man ja gut schlafen koennen ... wenn die Ohrpfropfen es zulassen (dabei weiss ich jetzt nicht, ob die Maenner am lautesten geschnarcht haben, oder die eine Dame). Aber ich bin trotzdem unruhig, irgendwie so halb Fisch und halb Kuh. Ich wuerde so gerne den Camino duro gehen, aber ich traue mich nicht wirklich. Inzwischen weiss ich ja zumindest, wo der Eingang ist, und vorletztes Jahr haben ja alle gesagt, der sei gar nicht sooo schlimm gewesen. Aber trau ich mich das wirklich?

Ha! Ich trau mich! Ja Hallo! Ich bin ja immerhin ein gestandenes Pilgerweib und mal ehrlich: Schlimmer als hinter dere Watzmannhuette den Berg hinauf und schlimmer als auf dem "Spazierweg" von eben dort wieder herunter (kann mir mal einer verraten, warum man da den schoenen Wiesenpfad mit ueber Stock und Stein unbedingt mit diesem Minischotter hat anlegen muessen? Das tut ja selbst den aelteren Menschen mehr weh, als vorher, weil man staendig darauf ausrutscht! So einen Quatsch kann sich nur einer ausgedacht haben, der 1. maennlich und 2. hoechstens Laufbandlaeufer ist, tut mir leid!) kann es doch gar nicht sein!

So, meine Lieben, wenn ihr irgendwann diesen Weg gehen wollt und ueberall von Warnungen und Horrorstories nur so vollgepackt werdet, dann guckt interessiert und denkt ech euren Teil. Es ist naemlich ganz bestimmt und ueberhaupt nicht schlimm. Ihr braucht keine Kletterausruestung und auch nicht Kondition, wie ein Elefant. Wirklich steil ist es nur die ersten vielleicht 20 Minuten (in meinem Tempo, und das ist ja nun nicht wirklich rasant.

Danach geht es zwar weiter stetig bergauf, aber schoen langsam und gemach und ganz unpustig. Dafuer ist die Aussicht von hier oben einfach der Hammer! Rundherum geht die Sonne auf und wubselt sich so langsam ins Tal, das im Dusteren ganz weit unter mir liegt. Da sehe ich die Strasse und kleine Tuepfelchen laufen. Die Armen! Die quaelen sich ander Betonmauer entlang, weil sie sich nicht hier herauf getraut haben! Heideroeslein, ist das bloed!

Also wenn ihr mich fragt, ist das da unten der Camino duro. Hier oben ist Camino d'oro, nicht der schwere, sondern der goldene Weg. Ich hocke mich irgendwo in die Sonne (die braucht noch ein Weilchen, bis sie ankommt), und denke: Maeuselein, das hast du dir jetzt zum Camino geschenkt. Es ist unglaublich schoen!

Am Ende komme ich durch einen Kastanienhain und dann geht es bergab. Och Menno, ich waere so gerne noch ganz lange hier oben gelaufen! Es war soooo schoen und vor allem auch soooo schoen einsam! In dieser ganzen Zeit sind mir nur zwei junge Maedels begegnet (denen ich erst einmal erklaerte, dass es zwar hoeflich ist, eine aeltere Dame zu sietzen, aber dass es total bloede ist, wenn man gesietzt wird, obwohl man sich laengst nicht als aeltere Dame fuehlt), eine Dame, die alleine geht und zwei Herren. Das war^s.

 

Nach unten ist wirklich ein bisschen steil, aber es ist kein Vergleich zu nach Roncesvalles oder Zubiri hinunter. Hallo! Wer diese Strecken ueberlebt hat, ohne sich alle Knochen und Knoechelchen zu brechen, der muss sich doch hier so gar keine Gedanken machen!

Unten holt mich dann ganz schnell der graue Untenherumpilgerweg ein. Ueber eine Stunde folge ich der Mauer und kriege die Krise! Am Ende will ich nur noch weg, weg, weg! Ich renne nach Vega de Valcarce und durch es hindurch. Nein, nein, nein, ich will hier nicht bleiben! Ich will wieder schoen! Ich will nicht Beton, nicht Mauer, nicht Strasse - und sei sie noch so unbefahren. Ich will Ginster, Heide, Lavendel!

 

In Ruitelán holt mich dann doch auch der Koerper ein und der sagt: Hallo! Du hast heute noch nichts gegessen! Ich will jetzt Nahrung, ich will Kalorien, ich will Brennstoff, sonst krieg ich Krise und du Wabbelbeine. So.

Also lasse ich mich in der naechstbesten Bar nieder und spachtele eine riesige Tortilla mit Salat und schlabber dazu Coca Cola und lasse es mir sowas von gut gehen! Ach, Kinders, das ist ein bisschen wie Urlaub haben!

Aehm, was ich dabei nicht bedacht habe, ist, dass Urlaub ja ganz oft mit Faulenzen und am Strand liegen oder hoechstens ein bisschen Sightseeing und Shopping zu tun hat. Beim Wandern kann so eine Tortilla, und sei sie noch so lecker, ganz schoen im Magen liegen und auf¨s Laufgemuet schlagen. Heideroeslein! Ich fuehle mich, wie der Wolf, der statt sieben Eilein sieben Ziegelstein im Bauch hat!

Aber das ist jetzt nicht sooo schlimm, denn ich muss ja nicht rennen. Und nach La Faba hinauf geht ja eines meiner Lieblingswegstuecke, das auf dem alten Pilgerpflaster durch die Hohlwege, in denen es so grusselig schoen ist. Da mag ich eh nicht rennen, da mag ich troedeln. Und weil die bayerische Wandergruppe mit Tagesrucksaeckchen vor mir auch troedeln will (aber wohl nicht, weil sie den Weg so geniessen, sondern, weil der Weg hinauf so anstrengend ist) (aehm, fuer mich auch) (Hallo! Ich habe ganz viel Essen im Bauch!), muss ich eben noch ein bisschen mehr troedeln, damit ich meinen Sicherheitsabstand zu ihnen einhalte.

Ich bin noch vor 15.00 Uhr in La Faba bei den Schwaben. So, und jetzt muss ich das mal sagen und meine das ganz wirklich: Wo die Paderborner oder Stuttgarter ihre lieben Finger drin haben, da muss man sich einfach wohlfuehlen, weil das einfach nur schoen ist und man gar nicht anders kann. So.

 

Ich vertroedel den Nachmittag. Also das ist jetzt etwas, das ist immer ein bisschen doof, weil ich irgendwie immer beim Laufen ein bisschen muede werde und froh bin, wenn ich angekommen bin. Aber wenn ich dann mal geduscht und mich ein bisschen ausgeruht habe, dann bin ich eigentlich immer wieder ziemlich frisch. Aber dann bin ich ja da. Und wenn da nichts ist, kein Internet, kein Wifi und vielleicht auch gerade niemand, den man kennt oder mit dem man sich gerne unterhalten mag, dann ist da ... irgendwie nicht viel, was man machen kann. Da kann man dann Tagebuch schreiben und im Reisefueherer nachgucken, wie es weitergehen koennte. Aber das ist ja nun nicht wirklich eine zeitausfuellende Sache. Hm.

Ich schlendere durch das Doerfchen (fuer ein Dorf ist es effektiv zu klein), finde eine Tienda, in der ich mir ein Eis kaufe, mit dem ich in der Sonne sitze und schmatze. Dann finde ich vor der Bar doch noch Opfer fuer ein nettes Gespraech. Aber als die zum Essen gehen (ich bin ja jetzt gerade von meinem Eis noch ganz satt), schlubbele ich zurueck zur Herberge und fuehle mich ein bisschen, wie bestellt und nicht abgeholt.

Um 20.00 Uhr gibt es diese sehr beruehmte Andacht in der Kirche mit einem Pater, der total lustig und sehr weltlich ist. Das ist auch soweit alles schoen und man braucht ihm eigentlich nur inst Gesicht zu gucken, um zu verstehen, wass er in Spanisch und Franzoesisch so zu sagen meint. Dann ruft er fuenf Freiwillige nach vorne, sagt noch das eine oder andere und waescht einer deutschen Dame die Fuesse, was sie dann bei ihrem Naechsten machen soll und so weiter, bis alle Fuesse porentief rein sind.

 

Das ist ja eine schoene Idee und ihr wisst ja, dass ich genau wegen diesem Ritual noch einmal in San Nicolas uebernachten wollte. Aber hier ist das irgendwie anders. Hinter mir erzaehlt eine Dame in gelsenkirchener Barock, dass sie das ja nun gar nicht haben koennte, wenn man ihr an den Fuessen herummacht. Hoffentlich sei da niemand kitzelig. Und warum denn ueberhaupt. Das sei ja lustig, hahaha, dann klingelt ein Handy, irgendjemand unterhaelt sich lautstark in Englisch - nein, Kinders, da kommt keine Andacht auf, kein Innehalten, kein Schlucken. Das Ganze laeuft so respektlos ab, so ohne Krusselhaut, so abgespult. Nein, tut mir leid, das gefaellt mir nicht.

 

Was mir allerdings gefaellt und was auch einfach zu dieser grossen Gruppe und dem Moench passt, ist das sich gegenseitig Umarmen (oooooh, das ist doch nun wirklich was fuer mich!) und im Kreis Hand in Hand zu stehen und uns gegenseitig in allen moeglichen anwesenden Sprachen "buen Camino" zu wuenschen. Das ist fein!

Hinterher sitze ich noch mit ganz vielen jungen Leuten (einer kommt aus Viernheim) zusammen un kriege den absoluten Redeflash. Irgendwie ist mir die lange Einsamkeit heute auf dem Camino duro wohl nicht bekommen. Na gut, da muessen die halt jetzt durch und am Ende hat der Hospitalero ein Herz, scheucht uns ins Bett und erloest meine genervten Zuhoerer aus ihrer Qual.

 

Aber soll ich eucht etwas sagen: Das heute war ein richtig schoener Tag und ich bin so gluecklich, dass ich duro gegangen bin, und auch gluecklich, dass ich in dieser Herberge ein Bett bekommen habe (wobei hier glaube ich niemand so einfach weitergeschickt wird; ein Maedel ist den ganz dollen duro gegangen, den es nur in amerikanischen Reisefuehrern gibt, und kommt erst kurz vor 22.00 Uhr an und kriegt auch noch ein Plaetzchen).

Erkenntnis des Tages: Manchmal kann schwer richtig goldig sein. Manchmal liegen zwischen wunderschön und total hässlich nur ein paar Höhenmeter. Manchmal werden beim Füßewaschen Füße gewaschen und manchmal mehr die Bäuche.