Burgos

Kinders, das ist ja ein Luxus: Ich ganz alleine in einem Raum, kein Schnarcher, keiner, der um 5.00 Uhr anfaengt, seinen Rucksack zu packen. Nur ich ... und meine Unruhe. Ich kriege kaum ein Auge zu. So ein Kaese! Als Pepe um 6.30 Uhr seine Opern ueber den Lautsprecher schickt, bin ich gefuehlt gerade erst eingeschlafen!

 

Macht nix, ich bin ein frueher Vogel und fresse ... nein, keinen Wurm, sondern zwei Magdalenas, dazu eine Tasse Kaffe und zum Abschied eine dicke Umarmung von Don Camino. So laesst sich ein Tag doch gut beginnen, oder?

Die ersten drei Kilometer nach Villafranca laufe ich mich warm, aber dann geht es ueber die Gansberge, eine schier endlose Strecke ist das! 11 km immer geradeaus, zuerst den Buckel hinauf, dann ganz steil den Buckel hinunter zu einem kleinen Bach, dahinter wieder noch steiler den Buckel wieder rauf und dann immer geradeaus, mal zwischen Steineichen, mal Steineichen nur auf der einen Seite, mal keine Steineichen mehr, sondern irgend etwas nadeliges. Und ich laufe und laufe und laufe ... ja, wo laufe ich denn hin?

Endlich, endlich nach 4 Stunden erreiche ich San Juan und die Bar: Kaffe, Schuhe aus, Gesicht in die Sonne halten und den heiligen Jakob einen guten Mann sein lassen. Wenigstens ein halbes Stuendchen.

Dann geht es weiter. Ages und Atapuerca durchwutsche ich nur schnell, denn ich will noch ueber den naechsten Huegel und erst dahinter in einer Herberge bleiben, die vor drei Jahren geschlossen hatte. Pepe hat mir felsenfest versichert, dass die wieder geoeffnet ist, und auf dem Camino darf man ja nicht luegen - auch Don Camino nicht!

Also gut, es geht schon ein bisschen den Berg hinauf, und der Stacheldraht, der mich die ganze Zeit links von mir davon abhaelt, mich totesmutig auf ein Militaergelaende zu stuerzen, ist nun auch nicht gerade eine Schoenheit. Aber ich gucke halt einfach nach rechts und sehe dort schlussendlich ... auch einen Zaun. Na klasse! Haben die hier Angst, dass die Pilger einfach ihr Heil in der Flucht ergreifen?

 

Aber davon einmal abgesehen wird der Weg von Hoehenmeter zu Hoehenmeter schoener. Und dann sehe ich auch schon das Kreuz: Pause!

Seit Atapuerca bin ich alleine mit mir und dem Camino. Das ist sooo selten in diesem Jahr. Staendig sind irgendwelche anderen Pilger um einen herum, aber hier habe ich wirklich dieses wunderschoene, offene und weite Stueck Erde fuer mich ganz allein! Ist das nicht klasse? Natuerlich, denkt ihr. Falsch gedacht. Natuerlich ist, dass ich, wenn ich keinen Rucksack mehr vor mir habe, garantiert nicht da lang gehe, wo ich eigentlich gehen sollte. Ich geh halt, lauf so vor mich hin, gucke mir die Welt an und ignoriere geflissentlich, wenn die gelben Pfeile in eine andere Richtung zeigen. Irgendwann komme ich an einen Wegweiser, der sagt, dass ich zu einem Ort hinter der Herberge jetzt hier abbiegen und ca. 2,2 km watscheln sollte. Ganz toll! Dann muesste ich ja von dort wieder zurueck! Das tue ich auf gar keinen Fall! Also gehe ich schnurstracks in Richtung Burgos weiter, ob ich jetzt 2,2 + km so oder so gehe ist ja nun auch schon egal.

Kurz vor dem Flughafen von Burgos erkenne ich dann auch mit Schrecken, warum ich so herrlich alleine bin: Die anderen Pilger - es gibt sie noch. Sie laufen nur alle ganz weit links von mir. Huch? Was machen denn die da? Die sind doch falsch!

 

Lacht nicht! Ich weiss es ja auch: Ich bin falsch. Aber das macht nicht wirklich etwas, denn mein Weg geht zum Glueck zu den anderen hinueber. Ich binn vielleicht ein bisschen umstaendlicher gelaufen, aber am Ende kommen wir alle an die gleiche Bushaltestelle in einem Vorort von Burgos.

 

Ein netter Herr bruellt mir aus einem Hotel entgegen, dass der naechste Bus um 4.00 Uhr kommt. Wir haben jetzt noch nicht ganz 15.30 Uhr, also genug Zeit, den Rucksack abzusetzen, sich hinzusetzen, die Schuhe auszuziehen und ... da kommt er, der Schmerz. Dieser Wicht hat sich die ganze Zeit geflissentlich versteckt um jetzt mit aller Macht ueber mich herein zu brechen. Hallo! Ich bin heute ca. 36 km gewatschelt, da duerfen Beine schonmal schmerzhaft mit dem Finger an ihre Stirn tippen: Du uebermuetiges Pilgerweib!

 

Ich hocke auf einem Stuhl und weiss gar nicht mehr, wie ich auch nur zu dem Bus hinlaufen soll, geschweige denn, in ihn hinein zu steigen und dann womoeglich auch noch nach einer Herberge zu suchen. Das geht ja gar nicht!

Oh, das mit dem Bus muss ich wohl auch noch schnell erklaeren: Die letzten ca. 5 km nach Burgos hinein sind derart haesslich und unschoen, da ist es jedem werten Pilger erlaubt, ein bisschen zu schummeln, ohne dass er sich dafuer schaemen muss. Besonders dann, wenn er schon ueber 8 Stunden unterwegs ist.

 

Nur eines ist hartnaeckiger als mein Schmerz: Mein Beduerfnis nach einer Beduerfnisanstalt. Nein, nein, da hilft alles nix: Wenn ich jetzt nicht gleich ein Tuerchen hinter mir schliessen kann, oeffnet sich bei mir auch ohne verschlossene Tuer alles! Also humpele ich (und das ist untertrieben) ins Hotel und frage nach dem Klo, bestelle mir eine Tasse Kaffe und komme (bis ich jetzt in Burgos ankomme, sind sowieso alle Herbergen belegt und ich muss mich nach any other options umgucken) auf die Idee, nach dem Preis fuer eine habitacion individual zu erkundigen. Und siehe da: Das Hotel ist fuer mich Pilgerweib, das durchaus bereit ist, in ihrem Schlafsack zu schnurcheln, derart erschwinglich, dass es ein grober Unfug waere, sich jetzt noch in die Stadt hinein zu plagen und da etwas zu suchen, was es wahrscheinlich schon seit Stunden gar nicht mehr gibt. Und wenn ich fuer drei Euro mehr alleine schlafen darf, anstatt mit 170 anderen in einem Raum (oder vielleicht auch in mehreren Raeumen, aber ganz sicher bin ich mir da nicht), wenn ich dafuer ein eigenes Klo, eine eigene Dusche mit - haltet euch fest - BADEWANNE (und ich habe sie genutzt, bis mir schier die Haut von den wund gelaufenen Fuessen gefallen ist!)  und Internet fuer umsonst bekomme - wie bescheuert muesste ich denn da sein, da nicht sofort zuzugreifen?

 

Also lege ich eine kleine Wellnesseinheit ein und froene des lauwarmen Wassers (naja gut, man darf ja auch nicht immer gleich alles haben wollen!), eines sauberen Bettes und der weltweiten Vernetzung.