Granon

Dafuer, dass in dieser Nacht ein buntes Gemisch aus 100 Geraeuschen und Geruechen herrschte, habe ich erschreckend gut geschlafen. Anfangs hatte ich noch ein bisschen Angst, entweder selbst aus dem Stockbett zu fallen, oder meine Nebenschlaeferin aus eben diesem zu schupsen, aber irgendwann hab ich das einfach in meinen Traeumen abgelegt und schnurchelte von da an friedlich vor mich hin - so friedlich, dass ich morgens fast tatsaechlich vergessen haette, dass, wenn ich jetzt einfach die Beine aus dem Bett schwinge, da erst einmal ein Meter weit ganz viel Luft und ganz wenig Boden ist.

 

Hallo! Das ist ja auch kein Wunder: Um diese Zeit schlaeft ein vernuenftiger Mensch ja auch noch. Ich mache mich fertig, trinke noch einen Becher total versuessten Kaffee und watschele davon. Ich erschrecke nur, dass es noch so dunkel und kalt ist. Als ich Najera verlassen habe und auf mein Handy gucke, haben wir 6.15 Uhr. Hups!

 

Meine Fuesse sind noch schwer, aber ich ignoriere das einfach und habe - hups! - die ersten 7 km Tageswerk hinter mir. Na gut. Geht doch!

 

Da wird es mir ganz grusselig: Ein aelterer Italiener, der in Logrono das Bett neben mir hatte und dem ich seither immer wieder begegne, kommt aus der Herberge und hat einen riesigen Verband um den Kopf. Als er mich sieht, guckt er mich total mitgenommen mit einem Auge an, das andere kann man nur noch erahnen, so dick geschwollen und blau ist seine rechte Gesichtshaelfte. Er kann nichts ausser Italienisch, was ich nun ja so gar nicht kann: Wir verstehen uns also praechtig, denn schliesslich gab uns der liebe Gott zwei Haende und einen Koerper, mit dem man so viel sagen kann, wie man es mit ganz vielen Worten nicht koennte. Er ist gefallen, erklaert er mir (glaube ich wenigstens). Naja gut, bei diesem Anblick braucht es auch gar nicht vieler Erklaerungen. Und er leidet so sehr, dass ich wirklich glaube, er gibt hier auf. Ich umarme ihn noch einmal ganz feste und gebe ihm einen Kuss auf die heile Gesichtshaelfte. Ciao. Dann gehe ich weiter.

 

Es dauert keine halbe Stunde, da naehern sich mir von hinten schnelle Schritte: Da kommt doch dieser Wicht froehlich in einem sehr lebhaften Gespraech mit einem anderen Italiener vertieft und leidet gar nicht mehr! Im Gegenteil: Der ist gute 70 Jahre alt und zieht an mir vorbei - dass er dabei nicht hoehnisch von wegen Schneckentempo sagt, ist ja wohl alles! (Vielleicht tut er es ja auch, aber ich verstehe es ja nicht).

 

Aber das muss ich jetzt mal sagen: Ich schaeme mich entsetzlich. Als es mich zwischen Roncesvalles und Zubiri mal eben in den Bach wutschte, wollte ich sofort wieder nach Hause. Dabei ist das mit dem, was hier zu sehen ist, bei weitem nicht zu vergleichen: Eine Schwedin hat die Fuesse so dick verpflastert, dass sie damit schon fast gar nicht mehr in ihre Schuhe passt. Dazu kommt, dass sie seit gestern dazu auch noch ein nettes, etwas groesseres Pflaster am Kinn traegt. Es hat sie nicht ganz so doll getroffen, wie diesen Italiener, aber sie hat doch mehr abgekriegt, als einen nassen Hintern. Manche haben so einen schwerfaelligen Schritt, dass ich immer Angst habe, sie koennten ploetzlich schneller vor der Himmelstuer stehen, als sie ihre Compostela bekommen, aber sie laufen. Ein junger Canadier musste einen Tag aussetzen und hockte stundenlang mit Eisakkus auf dem Bein, aber er laeuft wieder. Ein Australier hat Knoechel, die sehen aus, wie ein grosser Bollen Meloneneis mit ganzen Fruechten, aber er laeuft. Es ist der Hammer! 

Weil mir hier noch nicht nach Pause ist, beschliesse ich, meinen Kaffee erst im naechsten Ort zu nehmen. Bloederweise habe ich nicht geguckt, wie weit es bis dahin ist: 9 km! Na gut, wer nicht gucken will, muss fuehlen. Dafuer werde ich fuer meine Koffeindosis nobel und falle in die Bar eines Golfplatzes ein. Ich stinke, ich bin schmutzig, ich bin verschwitzt, ich bin durstig. Ich bin so ueberzeugend in meinem Auftreten, dass sich niemand traut, mich vor die Tuere zu setzen. Braucht auch niemand, denn ich tue es selbst und ganz freiwillig: Da draussen hat es Sonne und ein kleines Stueck Rasen, auf dem ich meinen Fuessen ein bisschen frisches Gefuehl goenne.

Der Weg nach Santo Domingo ist relativ gerade und geht immer mal ein bisschen rauf und runter, aber nicht schlimm. Vor den Herbergen haben sich schon grosse Pilgertrauben gebildet.

Ich werde hier nicht bleiben und besuche nur schnell die Kathedrale: Vielleicht kraeht dieses dusslige Federvieh ja heute mal aus Versehen tatsaechlich fuer mich (wegen einer alten Geschichte ist hier in die Wand ein Huehnerkaefig eingelassen in dem ein Hahn lebt. Es heisst, wenn er kraeht, wenn man in der Kirche ist, steht die Pilgerreise unter einem guten Stern. Er kraeht tatsaechlich ... immer waehrend der Pilgermesse. Na, wie das wohl kommt?). Tut er aber nicht. Na gut. Dann halt nicht. Dann geh ich halt unbekraeht weiter. Pff!

Auf dem Weg nach Granon bin ich sowas von enttaeuscht: Hier sind so viele liebe Erinnerungen und der Weg ist inzwischen so haesslich geworden: Eine Schotterpiste gleich links oberhalb einer funkelnagelneuen Nationalstrasse. Na klasse! Ich habe mich die ganze Zeit auf die Stelle gefreut, wo der heilige John schnoedes Brunnenwasser zu vino tinto verwandelte. Ich finde sie nicht! Nur das letzte Stueck in den Ort hinauf ist so geblieben, wie es war, aber da sind die Erinnerungen auch schon vorbei.

Als ich in die Herberge komme, kommen mir nun doch mal die Traenen: Ich kann euch gar nicht sagen, wie schoen es hier ist und wie gluecklich ich bin, dass ich wieder hier bin. Fuer mich ist und bleibt dieses alte Gemaeuer einfach magisch, schon alleine wegen der wunderbaren Hospitaleros. Hier gibt es keinen Stempel, hier gibt es eine liebe Umarmung. Und wer einmal so umarmt worden ist, pfeift auf alle Stempel dieses Weges!

 

Die beiden oberen Raeume sind alle bereits voll belegt. Fuer mich wird eigens eine kleine Nebenkirche geoeffnet und mit Matten ausgelegt. Habe ich mir in Logrono noch ueberlegt, wie es wohl ist, unter den Augen Gottes zu schlafen? Heute werde ich es heraus finden. Ich gucke ihm tief in die Augen: Mein lieber Schatz, wenn du schnarchst, haenge ich dich eigenhaendig ab und lege dich nach draussen auf eine Bank. Haben wir uns verstanden? Na gut.

Zum Glueck bleibe ich nicht alleine. Ich glaube, das waere mir dann doch ein bisschen zu viel der Heiligkeit gewesen. Mein Buendel ist uebrigens das leuchtende Lila rechts.

In den ersten Tagen habe ich es ja kaum ausgehalten, so ganz alleine zu sein. Inzwischen habe ich mich nicht nur daran gewoehnt, sondern ich geniesse es richtig, zumindest tagsueber. Ich laufe immer alleine und bin sehr froh darueber. Aber abends in der Herberge freue ich mich doch immer ueber ein nettes Gespraech. Das ergibt sich selbstverstaendlich auch hier, aber bis es soweit ist, fuehle ich mich fuerchterlich einsam. Ich hocke in der Bar und vermisse all die, mit denen ich vor drei Jahren hier feuchtfroehlich sass.

 

Ich bin richtig froh, dass ich vorher noch einen Schweizer aus Interlakaen zum schwaetzen hatte: Wir kennen uns seit Pamplona und treffen uns immer wieder auf dem Weg. Er ist am 23. Maerz daheim los gelaufen, quer durch Frankreich nach San Jean, jetzt geht er nach Santiago, Finisterre, dieses Kloster, dessen Namen ich mir immer nicht merken kann, dann den camino norte (am Atlantik entlang) wieder zurueck, bis er ein Schiff findet, das ihn mit nach England nimmt, wo er zur Eroeffnung der Olympiade sein moechte. Er ist monatelang unterwegs! Und ich heule wegen ein paar Tagen ohne Stress mit Mann und Kindern! Hallo!

Ich haette mich natuerlich fuerchterlich gefreut, wenn "unsere" Hospitaleros da gewesen waeren, aber die beiden, die da sind, sind genauso lieb. Und ansonsten ist alles wie immer: Gottesdienst, hektisches Richten der Tische, gemeinsames Abendessen (nachdem, und das ist anders als sonst, jede Nation ein Lied zumindest hat antraellern muessen - total lustig und total lieb!), Andacht, Bettzeit. Noch ein kurzer warnender Blick nach oben: Wir haben uns verstanden? Gute Nacht Jesus-Boy!

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