Logrono

Huhu! Ich lebe noch! Und heute knacke ich zum ersten Mal in diesem Jahr fast die 30 km. Aber leider nur fast, einer fehlt noch.

Koennt ihr euch etwas Schoeneres vorstellen, als morgens um 6.30 Uhr mit ca. 11 kg Gepaeck auf dem Buckel durch Los Arcos zu stapfen¿ (oh, na gut, dann eben ¿) Ich heute jedenfalls nicht. Ich bin so befluegelt, dass ich schier ueber den Camino wetze - so sehr, dass mich nur ein Ehepaar ueberholt, das diese Reise von ihren Kindern zur Goldenen Hochzeit geschenkt bekommen hat. Ich bin sooooo gut!

(dieses Bild ist von 2009)
(dieses Bild ist von 2009)

Unterwegs holen mich ganz viele liebe Erinnerungen ein: Der Tisch mitten im Nichts, an dem vor drei Jahren Bruder Schoki die Messe zelibrierte, Viana, die Strasse, an der mich meine Knie verliessen, die Herberge mit den dreistoeckigen Betten, die wunderschoene Wiese dahinter mit dem tollen Ausblick ... Es waere so einfach, hier zu bleiben, aber ich tue es nicht. Ich bin einfach zu gut drauf und trinke nur ganz in Ruhe eine Tasse Kaffee und esse ein suesses Teilchen dazu. Manchmal ist mir einfach nach gaaaanz viel Zucker. Schon wutschel ich beschwingt weiter.

Und bin auch sehr froh darueber, denn nach einem ganzen Stueck schonen Weg kommt das Stueck, vor dem mir schon seit Tagen gruselt: Der Verkehrsknotenpunkt vor Logrono. Aber ha! Diesmal bin ich gewappnet! Ich halte mir Fleetwood Mac ans Ohr und groele gnadenlos mit. Ihr Lieben, koennen die anderen Pilger froh sein, dass sie gerade alle weit genug weg und die Autos hier so laut sind! Aber so tut diese Strecke gar nicht mehr soooo dolle weh.

Und ich weiss ja auch, dass ich dafuer bald belohnt werde. Ich kann es gar nicht abwarten, das Haus von Dona Maria zu erreichen, und ob sie jetzt will oder nicht: Ich falle ihr einfach um den Hals. Ich weiss ja, dass sie sich gegen solche Gefuehlsausbrueche nicht wehrt. Sie traegt noch die gleiche Jacke, wie vor drei Jahren, nur sind die Mohairstacheln, die damals frisch und frech um sich gepiekst haben, inzwischen ziemlich zahnlos geworden. Ich erklaere ihr so gut ich kann, dass ich vor drei Jahren schon einmal hier war und sie die gleiche Jacke trug. Dafuer werde jetzt ich umarmt ... hihi ... sie weiss ja, dass ich mich gegen solche Gefuehlsausbrueche nicht wehre!

 

Da kommt diese saubloede (tschudligung, aber ich bin auf dem Camino, und da darf man nicht luegen) Gruppe aus Augsburg. Hier muessten sie sich unbedingt einen Stempel geben lassen, klaere ich sie auf. Einen Stempel¿ Warum¿ Weil, wenn man den Stempel nicht hat, ist man den Camino nicht gegangen! Dieser Stempel ist fast wichtiger als der in Santiago! Warum¿ Ob der denn so schoen ist¿ Ob es denn irgendwo einen Probestempel gibt, den man sich angucken koennte? (Oh! Ich hab das ? gefunden!) Ich gucke ziemlich entgeistert und bin das, was ich sonst eigentlich so gut wie nie bin: Sprachlos! Hallo! Wissen diese ... wunderbaren Menschen ueberhaupt, wo sie sind? Und was machen die hier um Himmelswillen? Oh ich kann es euch sagen: Sie sind nur hier, um mir dauernd etwas vom Pferd ueber meinen Rucksack zu erzaehlen. Und dass ich mir jetzt hier noch eine Muschel kaufe, ist ja wohl das Allerletzte! Man muesste ja schliesslich nicht alles haben!

 

Meine Lieben, nur mal eben zur Erklaerung: Ich bin gestandene 48 Jahre alt, habe drei Jungs auf die Welt gesetzt und zu halbwegs vernuenftigen Menschen erzogen, ich trage meinen Rucksack selbst und allein, lasse ihn im Gegensatz zu gewissen Augsburgern nicht von Herberge zu Hotel fahren, sondern er geht mit mir, jeden Meter dieses Weges (bis jetzt, und im Moment habe ich nicht vor, daran etwas zu aendern), auf meinem Buckel, getragen von meinen Beinen - ich werde einen Teufel tun, mich vor irgend jemandem zu rechtfertigen, was ich kaufe und was ich wegwerfe! Und schonmal gar nicht vor ... Leuten, die nicht wissen, dass man sich bei Dona Maria einfach und ganz bestimmt einen Stempel geben lassen muss. Und wenn die mir jetzt noch ein einziges Mal komisch kommen, bleibe ich ganz bestimmt nicht mehr freundlich und hoeflich!

 

 

So komme ich jedenfalls in Logrono an und hupfe auf die naechst beste Herberge zu. Wir haben gerade mal 14.00 Uhr, da kriege ich vom Hospitalero nur ein mitleidiges "completo". Ich sags ja, in diesem Jahr spinnen die Pilger! Aber wenn ich noch ein Stueck diese Strasse entlang ginge, das waere noch eine. Also gehe ich, warte geduldig mit einer immer groesser werdenden Gruppe anderer inzwischen ziemlich muede aussehenden Pilger und werde schlussendlich eingelassen.

Ich lande in einer dieser besonderen Herbergen auf dem Weg: Ganz einfach aber total lieb und total herzlich. Gemeinsames Abendessen um 20.30 Uhr, danach eine kleine uns sehr intime gemeinsame Andacht in der Kirche. Nein, wir benutzen nicht die grosse Tuere, sondern werden auf einem Geheimgang dorthin gefuehrt (wir sollen aber bitte zusammen bleiben, denn letzte Woche haetten sich zwei Italiener unterwegs verlaufen - ob sie inzwischen wieder aufgetaucht sind, laesst unser Hospitalero offen) und wir sitzen auch nicht im Kirchenraum, sondern im Gestuehl, das vorher abgeschlossen war. Und es ist genau der gleiche wunderbare Geist, den es auch in Granon gibt: Jeder ist fuer alles eingeladen, muss aber nichts tun, sondern kann selbst entscheiden, ob er hier einen Heiligenschein erhaelt oder nicht. Alles ist so leicht, so ... ich weiss nicht wie!

Spaeter erfahre ich, dass ausser in unserem Zimmer mit 18 Betten und einem riesigen Matratzenlager noch nicht nur noch ein Noteckchen mit 3 weiteren Matten eingerichtet worden ist, sondern ein Allerletzter sogar in der Kirche selbst schlafen durfte. Versteht ihr jetzt, was ich meine?

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